Schlagwörter

, , , ,

stupid

Wohltuende Wärme empfing uns. Wir setzten uns ans Fenster. Ich zog meine Jacke aus. Deckenfluter brachten die bunt lackierten Tische zum Leuchten. Leider richteten sie sich auch wie ein Spotlicht auf mein fleckiges Hemd. Sofort fühlte ich mich im Nachteil. Bis sie sich aus ihrem Anorak schälte. Darunter erschien ein labbriger Wollpulli, an einem Ärmel klebte ein einzelner Staubfaden.

Es tut mir leid.“

Das sagten Sie bereits.“

Selbstverständlich übernehme ich die Kosten, falls Ihre Jacke für immer ruiniert sein sollte.“

Ach was, das olle Ding. Einmal waschen, schon ist es wieder sauber.“

Sie bestellte sich einen Kaffee. Ich lechzte nach einem Tee. Doch in Cafés schmeckte er meist wie aufgewärmte Katzenpisse. Ich entschied mich für eine heiße Schokolade. Hoffentlich machte mich das in ihren Augen nicht zum Softie.

Der Kakao schmeckte stark und süß. Die Wärme kehrte stoßartig in meinen Körper zurück. Zumindest von der Hüfte aufwärts. Meine Hosen klebten feucht und kalt an den Beinen. Ich streckte den schmerzenden Knöchel aus.

Die Frau blickte mich ruhig an. Nippte an ihrem Kaffee. Offenbar konnte sie Pausen gut aushalten. Ich nicht.

Ist Ihnen schon mal aufgefallen“, begann ich, „wie viele Kneipen neuerdings merkwürdige Namen tragen?“

Ihre Augenbrauen hoben sich.

Sie heißen Heimatglühn, Kaiserschmarrn oder Vereinsmeier.“

Die Frau begriff sofort. „Oder Platzhirsch.“

Sie sah in ihre Tasse. „Ist mir vorher nie aufgefallen. Aber jetzt, wo Sie’s sagen. Breiten sich aus wie Unkraut.“

Erstaunlich nicht?“

Nun, wo ich einen Faden gefunden hatte, wickelte ich ihn eifrig auf. „Die Namen signalisieren etwas Bürgerliches, um nicht zu sagen altbacken Heimeliges.“

Ich zeigte auf das Eichenparkett, die knallroten Hocker vor dem Tresen, die violett gestrichenen Wände. „Dabei sind diese Lokale ganz anders eingerichtet, wollen genau das Gegenteil sein, nämlich modern, innovativ und einzigartig.“

Sie warf einen Blick auf den Nebentisch. Dort saßen zwei Männer Mitte zwanzig. Einer mit Vollbart, der andere mit diesem komischen Dutt, den sie neuerdings trugen.

Die sehen bloß innovativ aus“, sagte die Frau. „Oft sind die viel spießiger als Leute aus unserer Generation.“

Die können gar nicht anders, als die Spule zurückzudrehen. Müssen sich gegen uns ältere Semester abgrenzen.“

Ältere Semester?“ Sie prustete los. „Na, hören Sie mal. Ich bin vierzig!“ Herrje!

Ich wollte Sie nicht beleidigen.“

Sie wischte es mit einer Handbewegung fort.

Was sind Sie? Soziologe?“, fragte sie.

Ihr Lächeln glitt ins Spöttische ab.

Nein. Aber an soziologischen Themen interessiert.“

Herrje, ich klang wie ein Klassensprecher.

Derzeit schreibe ich beruflich Kontaktanzeigen.“

Sie riss die Augen auf. „Da lernen Sie sicher einen Haufen Verrückter kennen.“

Verzweifelt trifft es eher.“

Bestimmt können Sie aufregende Geschichten erzählen.“

Ihre Augen glänzten. Dieses unglaubliche Blau. Mit einem Mal verdüsterte sich ihr Gesicht.

Ich finde es beschämend. Viele von denen, die im Internet angeblich auf Partnersuche sind, wollen in Wahrheit bloß rumflirten und ihren Marktwert testen.“

 

Macht’s Spaß? Das Leute-Verkuppeln?“

Es entspricht dem Zeitgeist“, bestätigte ich. „Neulich hab’ ich gelesen, dass es Menschen verdirbt, wenn man ihnen zu viele Wahlmöglichkeiten anbietet. Es macht sie zu Optimierern. Sie klicken sich durch die Profile und checken blitzschnell, ob der andere passt oder nicht. Aber selbst wenn ihnen ein Kandidat gefällt, halten sie sich bedeckt. Es könnte ja noch ein Besserer um die Ecke kommen.“

Wieder blitzte das spöttische Lächeln auf. „Tja, und da hab’ ich gedacht, Onlinedating wäre das Nonplusultra.“

Nicht unbedingt. Die Art des Kennenlernens muss zu einem Menschen passen. Bei manchen funktionieren Kontaktanzeigen. Doch es gibt auch Leute, bei denen klappt es nie.“

Sie fixierte mich mit einem Blick, den ich nicht deuten konnte.

Im Prinzip ist es nichts Besonderes“, fuhr ich aus dem Takt gebracht fort. „Moderne Menschen versuchen, sich auf moderne Weise kennenzulernen, um sich dann ganz altmodisch beieinander zu legen.“

Moment mal! Hatte ich gerade über Sex geredet? Ich spürte, wie mein Gesicht knallrot anlief.

Pikantes Thema. Für dieses Gespräch bräuchten wir Alkohol“, sagte sie mit ungerührter Miene.

Wir können etwas bestellen, falls Sie…“

Haben Sie schon mal eine Kontaktanzeige aufgegeben?“, fiel sie mir ins Wort.

Gott bewahre! Bisher habe ich meine, ähm, Partnerinnen auf natürlichem Wege kennengelernt.“

Keine gute Reklame für mein Geschäft.

Macht’s Spaß? Das Leute-Verkuppeln?“

Nun ja, ich hege keine großen Ansprüche an meine Arbeit.“

Ich schrumpfte unter ihrem Blick. „Doch es erfreut mein Herz, wenn ich dabei helfen kann, Leute zusammenzubringen.“ Gelogen.

Haben Sie eine Visitenkarte?“, fragte sie.

Wieso? Möchten Sie eine Kontaktanzeige aufgeben?“

Bitte sag Nein!

Sie wehrte lachend ab. „Ich gehöre zu den Leuten, bei denen es nicht funktioniert. Man ist so aufgeladen mit Erwartungen. Verheißungsvolle Mails wechseln hin und her.“ Sie sah an mir vorbei. „Es folgt ein tolles Telefonat, der Mann hat eine super Stimme, sagt genau das Richtige…“

Ich beugte mich vor. „Aber dann?“

 

Herrje, ich klang wie ein Klassensprecher.

Man trifft ihn und wünscht sich ans Ende der Welt. Der Typ, der sich als gutaussehend und charmant beschrieben hatte, ist rund wie ein Tennisball, bohrt ständig in der Nase und haucht mir seine Schnapsfahne ins Gesicht. Dabei hat er am Telefon beteuert, er würde nicht trinken.“

Nirgendwo wird so viel gelogen wie bei der Partnersuche.“

Sie nickte. Blickte an sich herunter, entdeckte den Staubfaden am Pulloverärmel und zupfte ihn ab. Zerrieb ihn zwischen den Fingern, sah, wie ich sie dabei beobachtete, und lachte.

Bin nicht repräsentativ angezogen. Komme von der Arbeit.“

Sie sind Putzfrau?“

Ich wünschte, ich hätte das nicht gesagt. Es klang abfällig. Doch falls es stimmte, hätte es mich enttäuscht.

Fengshui-Beraterin.“

Ein goldenes Strahlen überzog ihr Gesicht.

Feng… Was ist das denn?“

Ich richte Wohnungen nach einem harmonischen Prinzip aus. Menschen fühlen sich besser, wenn sich Möbel, Farben und Formen in Einklang miteinander befinden.“

Sie stellte ihre Tasse ab. „Zuerst muss ich meine Kunden aber dazu bringen, ihren Kram auszumisten. Nur so kann sich das Chi im Raum entfalten.“

Ihre Hände zeichneten schnörkelige Kreise in die Luft.

Sie würden nicht glauben, was die Leute alles anhäufen! Und dann wundern sie sich, dass ihr Leben im Stau steckt.“

Sie lachte unfroh. „Die können sich von nichts trennen. Kämpfen um angeschlagene Vasen oder um Fotos von Verflossenen, von denen sie mies behandelt wurden, als ginge es um ihr Leben.“

Kommen Sie gerade von so einem Kunden?“

Sie nickte. „Totale Messie-Hütte. Ich habe bloß eine Kommodenschublade ausgeräumt, um darin Platz für die wirklich wichtigen Dinge zu schaffen. Die Klientin war fix und fertig. Setzte sich auf den Badezimmerboden, rauchte fünf Zigaretten hintereinander und weinte.“

Sie verzog das Gesicht. „Es war schrecklich.“

Der Zigarettenrauch?“

Sie bedachte mich mit einem strafenden Blick. „Das Weinen.“

Gehen Sie morgen wieder hin?“

Sie schüttelte den Kopf. „Ich glaub sowieso nicht, dass die Frau mich weiter engagiert. Die meisten ziehen es nicht bis zum Ende durch.“

Sie zog die Pulliärmel über ihre Hände. „Brrr“, machte sie und schüttelte sich. „Ich möchte nie wieder da raus.“

Wir sahen aus dem Fenster. Eine ältere Frau stemmte sich gegen den Wind. Der Regenschirm klappte ihr ins Gesicht. Sie ließ ihn einfach fallen und rannte geduckt weg.

 


Auszug aus dem Roman Krötenregen von Marion Leuther
Werbung